Unsere Ahnen sind überall um uns.

Darren Julian ist ein Künstler aus dem Stamme der Mi’kmaw und er stammt aus Paq’tnkek First Nation (Afton) in Nova Scotia. Heute lebt er in der Wagmatcook First Nation auf Cape Breton, der Halbinsel im Südosten Kanadas mit einer wunderschönen Landschaft, weiten Wäldern und einem Naturpark auf der Hochplateau-Region der Provinz. Die Menschen auf Cape Breton lieben ihr Land sehr und bezeichnen sich gern als „Caper“.

Er lebt und arbeitet mit seiner Frau Amanda Julian hier, in Wagmatcook. Wie viele der indianischen Gemeinden, liegt auch diese am Wasser, in diesem Falle am Ufer des über 1000 m² großen Bras d’Or Sees. Hier leben etwa 700 Angehörige der so genannten „First Nations“, also der Ureinwohner Kanadas. Sie nennen die Halbinsel Cape Breton in ihrer Sprache „Unama’ki“. Man spricht noch immer fließend die Muttersprache der Mi’kmaw. Die Jüngeren muss man heute allerdings schon ein wenig davon überzeugen, sich der Mühe zu unterziehen, diese nicht einfache Sprache ihres Volkes zu erlernen. Dabei leisten die Schule und das Heritage Center von Wagmatcook sehr wertvolle Arbeit. Es wird den jungen Leuten nahegebracht, wie wertvoll ihre Sprache, Kultur, Geschichte, die Bräuche und die Kunst ihres Volkes sind, nämlich ihre Herkunft und Identität, ihre Seele!

Heute gibt es in Kanada 29 sogenannte First Nations (indigene Gemeinden) des Mi’kmaw Stammes, die aber alle unter einem Oberbegriff, der Aroostock Band of Mi’kmaq vereint und als eine Nation offiziell anerkannt sind. Das ehemalige Siedlungsgebiet dieses Großstammes bestand aus den östlichsten Provinzen Kanadas: Nova Scotia (Neuschottland), Prince Edward Island (Prinz Edward Insel), Teilen von New Brunswick (Neu Braunschweig) und die Gaspé-Halbinsel im französischsprachigen Quebec. Die Gesamtgröße beträgt etwa ein Drittel der Fläche Deutschlands.

Die Familie und die Ahnen spielen eine wichtige Rolle

Der Stammesname rührt von der traditionellen Begrüßung dieses Stammes her: „Nikmaq!“, was soviel heißt, wie „Meine Brüder!“ oder „Meine Familie!“ Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl war für den Stamm und seine Untergruppen essentiell, denn sie lebten weit verstreut in den noch unberührten Wäldern der Ostküstenregion Nordamerikas. Verbindung zueinander hielten sie relativ schnell und leicht über die vielen Flüsse und Seen, die die Ostküste durchziehen. Die Familie und die Ahnen spielten–und spielen heute noch – eine immens wichtige Rolle, ein Motiv was man auch immer in den Kunstwerken des indigenen Künstlers Darren Julians wiederfindet.
Die Lebenden, so zeigt es uns Darren Julian in dem Bild auf der nächsten Seite, sind mit den Ahnen so eng und lebenswichtig verbunden, wie die Äste und Blätter eines Baumes über den „Stamm“ mit den Wurzeln. Die Wurzeln geben dem Baum Halt, nähren ihn und aus ihnen zieht er seine Kraft zu leben. Ohne seine Wurzeln wäre der Baum zum Sterben verurteilt. Daher sieht man in dem Bild „Family Roots – 21 Of Us“ (Familienwurzeln – wir sind 21) bei genauem Hinsehen in den feinen Wurzeln der Bäume die Gesichter der Vorfahren und in den Haaren der Lebenden die spirituelle Verbindung als Wurzeln, hin zu den „Familienbäumen“.

Was für ein eindrückliches Bild. Besser könnten es tausend Worte nicht beschreiben, wie unglaublich wichtig die Wurzeln eines Volkes für sein Überleben und seine Identität sind, um zu wachsen und zu gedeihen–aber auch, welche Geborgenheit und Verbundenheit davon ausgeht und welche Liebe und Sicherheit die Mitglieder dieser großen Familie umhüllt. Nicht ohne Grund sagt man ja auch im Deutschen von solchen Menschen, die keine Familie haben, die heimatlos und ohne Bindungen, allein auf sich gestellt, durchkommen müssen, sie seien „entwurzelt“.

Ein neuer Abschnitt in Darrens Künstlerkarriere – die Friends United Initiative

Darren Julian wuchs in der First Nation Siedlung Paq’tnkek auf und schon seine Eltern waren Künstler. Seine Mutter, Sandra Simon, hatte noch die traditionelle Kunst der Herstellung von Dosen aus Birkenrinde, Stachelschweinborsten und Süßgras erlernt und unterrichtet, auch wenn sie hiervon nicht leben konnte und sie oft in Obstplantagen und Altenheimen arbeiten musste, um ihre Kinder zu ernähren. Darren begann schon als Teenager in die Fußstapfen seines Vaters, James, zu treten und zu malen. Er musste sich seine Fertigkeiten und Kenntnisse allerdings selbst erarbeiten, denn sein Vater war leider früh gestorben. Er traf im Jahre 2011 durch einen anderen Künstler auf Rolf Bouman, den Gründer der Friends United Initiative.
Damit begann für Darren ein neuer Abschnitt in seiner Künstlerkarriere. Die Friends United Initiative half Darren, eine kleine, eigene Galerie aufzubauen, in der er seine eigenen und die Kunstwerke seiner Frau Amanda ausstellen und verkaufen konnte. Darrens Lieblingsmotive sind Gesichter, Menschen, Pflanzen und Tiere. In seinem ganz eigenen spirituellen Stil erzählt Darren die Geschichten, Mythen und Legenden seines Volkes und gewährt Einblicke in deren Weltsicht und Glauben. Er verwendet gerne Farben aus dem Rotbereich, denen er in feinen Abstufungen ein Glühen bis ins satte Gelb gibt, was seinen Werken zugleich Morgenstimmungen mit dem Flair des Aufbruchs, aber auch die Atmosphäre des Sonnenuntergangs und des inneren Ruhens verleiht. Diese Lichtstimmung in vielen seiner Bilder verstärkt unterbewusst die Wahrnehmung von Werden und Vergehen, Tag und Nacht, Leben und Tod, Vergangenheit und Gegenwart, die Wurzeln der Ahnen und die jugendlichen Zweige und Blätter, die zum Licht streben. Seine reduzierte Farbgebung wirkt subtil und die wenigen klaren Formen vermitteln die Botschaft seiner Bilder nur umso deutlicher.

Das Leben im Rhythmus der Natur

Er malt oft Indigene und Tiere als ein Wesen und bezieht sich damit auf den Glauben der Mi’kmaw, dass es überall Leben gibt, sichtbares sowie unsichtbares und unterschiedliche Lebensformen sich in andere Wesen verwandeln können. So sind manche Menschen und Tiere gar nicht das, was sie zu sein scheinen und Bruder Bär kann einem auch in Menschengestalt begegnen und umgekehrt, wie in dem auf der folgenden Seite abgebildeten Bild „Spirit of four“ zu sehen ist. Ebenso wie „Bruder Bär“ können auch „Großvater Adler“ und die mythische Schildkröte, die die Welt trägt, in menschlicher Gestalt erscheinen.

„Unsere Welt – Eure Welt.“

Sehr typisch für Darrens künstlerische Erzählweise ist sein Bild „Orange Sky On A Half Dead Tree“, das eines seiner frühen Werke ist und seine Sichtweise auf das Leben im Rhythmus der Natur der indigenen Kanadier im Vergleich zur urbanen, nüchternen und seelenlosen Lebensweise der Weißen.
Künstler wie Darren Julian tragen enorm dazu bei, das Selbstverständnis und den Stolz auf die eigene Geschichte und Kultur zu stärken und wieder zu echter, lebendiger Blüte zu bringen. Durch seine Bilder erreicht er direkt das Herz und die Seele des Betrachters. Sogar als „Fremder“ versteht man, was er uns zeigen will und seine tief berührende Botschaft hinter den Gesichtern, Tieren und Bäumen ist eine Sprache, die keiner Worte bedarf.