Der indigene Picasso Kanadas

David kennenzulernen, war ein Ereignis, entweder mochte er einen sofort oder gar nicht. Dies hing sicherlich primär mit seiner schweren Kindheit zusammen, die ihm vom „weißen Mann“ zugemutet worden war. Ich hatte das große Glück, dass wir uns vom ersten Augenblick an gut verstanden haben. In den folgenden fünf Jahren bis zu seinem Tod entstand zwischen uns eine enge Freundschaft. Diese Freundschaft bestand nicht nur mit David, sondern auch mit dem Rest seiner Familie.

Unser erstes Treffen fand eher zufällig statt. Ein anderer Mi’kmaw Künstler, mit dem unsere Friends United Initiative zu diesem Zeitpunkt bereits eng zusammengearbeitet hatte, kannte David und als ich diesen Künstler besuchte, war auch David anwesend. Er sagte mir, dass er früher auch als Künstler tätig war, aber vor ca. 20 Jahren fast vollständig aufgehört hatte zu malen, da er sich von vielen Galerien und Kunsthändlern ausgenutzt und übervorteilt fühlte und dies passte, seiner Meinung nach, auch zu seiner Kindheitserfahrung, in der er in kirchlichen Internaten vom „weißen Mann“ erzogen wurde und ihm und seinen Mitschülern Schlimmes widerfuhr. Ich habe bereits früher zu dem Thema „Residential School“ (ca. 1890 – 1970) geschrieben und erklärt, dass in diesen Schulen eine große Anzahl von indigenen Kindern umkam und noch weit mehr übelst misshandelt wurden. Viele Kinder sahen ihre Eltern nur noch selten oder überhaupt nicht, nachdem man die Kinder von den indigenen Familien zwangsweise entfernt hatte, um sie in den christlichen Glauben zu überführen und sogenannte „gute Bürger“ aus ihnen zu machen. David erzählte mir, dass er und die anderen Kinder öfter aufgrund von Kleinigkeiten von den kirchlichen Erziehern und Lehrern (teilweise sogar blutig) geschlagen wurden und dass er seine indianische Muttersprache nicht benutzen durfte, da man ihm ansonsten den Mund mit Seife auswusch, denn nach Meinung der Erzieher waren indianische Sprachen schmutzige Sprachen. Auf weitere entsprechende Erfahrungen Davids möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen.

Es war also nicht einfach, in den anfänglichen Wochen und Monaten nach unserem ersten Treffen Vertrauen aufzubauen, aber David liebte besonders die Tatsache, dass ich Deutscher war, denn für Deutsche hatte er viel Achtung. Warum es eine sehr enge Verbindung zwischen den Deutschen und indianischen Völkern gab und gibt, habe ich bereits in vielen Artikeln und Interviews erläutert.

David hatte also kaum noch gemalt als wir uns kennenlernten, bzw. für einige Jahre gar nicht mehr gemalt. Da ich aber neugierig war und David auch viele interessante, indianische Geschichten kannte und erzählte, die ich mir sehr gern anhörte, lud er mich in sein Haus im Indianerreservat ein, denn hier hatte er noch zwei über 20 Jahre alte Bilder im Keller stehen, die er nie verkauft hatte. Sein Haus war sehr alt und auch bereits sehr renovierungsbedürftig und hier lebte man in Einfachheit. David lebte hier, trotz der beschriebenen Umstände, glücklich mit seiner Frau und seinen Kindern, denn seine Familie und Familie im Allgemeinen waren für ihn von großer Bedeutung. Wir gingen über eine steile Treppe in den recht dunklen Keller hinab und er zog zwei große Bilder hinter dem Ölofen hervor, die er mir zeigte. Die Bilder waren verstaubt und standen schon viele Jahre hier. Ich erkannte sofort sein Talent, von dem er auch selbst wusste, er wollte jedoch nicht mehr für den „weißen Mann“ malen.

Er schenkte mir einfach seine Bilder, die er auf selbstgebauten Rahmen mit aufgezogener Leinwand gemalt hatte. Ich dankte ihm herzlich und hätte es sicherlich dabei belassen können. Nachdem ich aber auch mit seiner Frau und seinen Töchtern, die mir sein Talent bestätigten, gesprochen hatte, konnte ich mich irgendwie nicht zum sofortigen Verabschieden durchringen. Wir saßen dann noch bei Tee, Kaffee und Wasser für eine Weile zusammen und führten ein interessantes und sehr persönliches Gespräch. David trank schon lange keinen Alkohol mehr, denn hiermit hatte er, wie auch ein Großteil seines Volkes, schlechte Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil, er versuchte abhängigen Mitmenschen zu helfen, wo er konnte, um diese aus der Sucht zu führen. Als ich nach langer Zeit ging, versprach er mir, erneut darüber nachzudenken, ob er nicht doch wieder malen wolle, sicherlich auch als Vorbild für seine Töchter und, so sagte er mir, dass Malen für ihn eine Erfüllung und Therapie gewesen sei.

Den Künstler in sich wiederentdeckt

Nach ungefähr einer Woche rief er mich an und sagte mir, dass er doch nochmal versuchen wollte, als Maler, Schnitzer, Bildhauer und Pfeifenbauer zu arbeiten. Das erste, was fehlte, waren Werkzeuge sowie Pinsel, Farbe und Leinwand. Ich versprach ihm, dass wir ihm über unsere Friends United Initiative die gewünschten Materialien zukommen lassen würden, was auch sofort geschah. Ich hörte dann über Wochen nichts mehr von ihm und befürchtete bereits, dass er sich doch dagegen entschieden hatte, erneut als Künstler zu arbeiten. Weit gefehlt: Er rief mich dann schließlich doch an und sagte mir, dass er einige Bilder gemalt hatte, die er mir zeigen wollte. Voller Neugier fuhr ich nun zwei Stunden zu ihm. David hatte mittlerweile im Keller sogar mehr Licht installiert, damit er besser malen konnte und man auch die Bilder bei ausreichender Beleuchtung betrachten konnte. Hier hingen nun 14 sehr spirituelle und traditionelle Bilder. Seine Frau erzählte mir, dass er für vier Wochen ununterbrochen gemalt hatte, oft sogar nachts. Sie sagte auf Englisch: „David poured his heart and soul into these paintings.” (David hat sein Herz und seine Seele in diese Bilder gegossen) und sie sagte mir, dass er nun auch erkannthätte, durch die Friends United Initiative nochmal eine Chance als Künstler erhalten zu haben und dass seine anfängliche Skepsis inzwischen vollkommen verflogen sei. Hier standen wir nun vor unglaublich farbigen, spirituellen und traditionellen Bildern und Motiven, welche die Geschichte und die Geschichten seines Volkes erzählten. Ich fühlte mich sehr geehrt, anwesend sein zu können und diese künstlerische Wiedergeburt miterleben zu dürfen.

Nachdem er mir Vieles zu den Bildern erklärt hatte, fragte ich vorsichtig, ob diese Bilder zum Verkauf stünden und ob ich diese erwerben könne. Er entschied sich nach langem Nachdenken, zwölf der Bilder an unsere Friends United Initiative zu verkaufen und freute sich sehr über die Zusage, dass wir diese im Friends United International Convention Centre ausstellen würden. Er hatte Tränen in den Augen und ich muss gestehen, dass es mir genauso ging. Zwei Bilder behielt er für seine Töchter, die er hierdurch auch zum Malen motivieren wollte. Nun entwickelte sich langsam eine immer tiefergehende Freundschaft zwischen uns, durch die ich jeden Monat bei ihm zu Hause gemalte Bilder abholte und neue Malutensilien mitbrachte.

Erste große Ausstellung in Halifax (Nova Scotia/Kanada) seiner Bilder

Da ich Davids Kunst als sehr eindrucksvoll und aussagekräftig empfand, fragte ich Peter Kelly, den Bürgermeister von Halifax, ob wir im Rathaus eine einjährige Ausstellung mit Davids Kunst veranstalten könnten. Peter war begeistert und von nun an brachten David und ich immer mehr seiner Bilder ins Rathaus. Es war schön zu sehen, dass nun der Bürgermeister bei Interviews im Fernsehen oft die Bilder von David Brooks im Hintergrund zeigte und auch stolz erklärte, wer David Brooks war und was er machte. David und seine Familie waren auch sehr glücklich und dankbar für diese Ausstellung. Die Bilder hingen nun im Rathaus, bis ein neuer Bürgermeister ins Amt trat und auch dieser zeigte Interesse, viel mehr mit unserer Friends United Initiative zusammenzuarbeiten.

David malte nun immer mehr und unser Verlag Adventure Canada Publishing Inc. kaufte auch seine Reproduktionsrechte, damit er ein weiteres Einkommen haben könnte. Er wurde in seiner indianischen Heimatgemeinde zu einem Vorbild und nun entschieden sich auch beide Töchter, künstlerisch aktiv zu werden. Seine Tochter Chelsea begann zu malen und Tochter Sarah studierte nun Bekleidungsdesign. Seine Frau Alice sagte mir, dass David nun die glücklichsten Jahre seines Lebens verbringe. Deshalb war ich sehr überrascht, als David mir nach ca. drei Jahren mitteilte, dass er nicht mehr weitermalen wolle. Sehr betroffen fragte ich, warum er diese spirituelle Arbeit, welche die Geschichten der indigenen Völker erzählt, nicht weiterführen wolle. Seine Antwort war für mich sehr überraschend. Er sagte, dass er nun über 240 traditionelle Bilder gemalt habe und einfach nicht mehr die gleichen Geschichten und Motive immer wiederholen wolle. Irrtümlicherweise schien er zu glauben, dass unsere Friends United Initiative ausschließlich an indianischen Motiven interessiert sei, denn das war doch, was alle Menschen von ihm immer erwartet hatten. Er war auch der Meinung, dass er nichts anderes verkaufen könne, da es hierfür keine Nachfrage gäbe. Er sprach nun von Steinskulpturen und Holzschnitzereien und zeigte mir einige Kunstwerke, die er bereits vor 30 Jahren geschaffen hatte. Er schenkte mir ein sehr kunstvolles Messer, welches er selbstgefertigt hatte und ich fühlte mich sehr geehrt.

Der neue Picasso Kanadas

Abschließend erwähnte er noch, dass es eigentlich seine große Leidenschaft sei, kubistisch, wie Picasso, zu malen, leider aber niemals jemand hieran Interesse gezeigt habe. Zugegebenermaßen musste ich nun erstmal nachdenken und lies mich auf ein interessantes, neues Projekt ein. David wollte die Geschichte seines Volkes durch Picasso ähnliche Motive erzählen und obwohl mir dieser Gedanke vollkommen fremd schien, war ich doch derartig neugierig, was sich daraus ergeben würde, dass ich ihn bat,
versuchsweise einige Werke im angedachten Stil des Kubismus anzufertigen. Er sagte mir, dass er früher schon öfter ähnlich wie Picasso gemalt hätte, die Bilder aber immer in den Müll schmiss, da er sie nicht für gut hielt und sie auch keiner kaufen wollte. Nun wartete ich also wieder einige Wochen und mein nächster Besuch gestaltete sich wirklich sehr besonders. Als ich seine kubistischen Bilder sah, war ich sehr beeindruckt und er nahm dies auch mit viel Freude zur Kenntnis. Aus diesem Treffen ergab sich nun eine ganz neue Stilrichtung und er malte bis zu seinem Tod ca. 110 weitere Bilder. Leider erkrankte David dann und konnte nicht mehr malen. Malen war aber sein Lebensinhalt geworden, mit dem er sich ohne Worte ausdrücken konnte und er war nicht in der Lage, über den Umstand, dass er seine Hände kaum noch bewegen konnte, hinwegzukommen. Wir brachten ihm viele seiner Bilder als Kunstdrucke, führten oft Gespräche mit ihm und organisierten auch Interviews mit David und unserem Freund Michael Vogt, um seine Lebensgeschichte festzuhalten. Allerdings schien dies alles nicht wirklich Davids Freude und Lebenslust wieder zurückzubringen und so schrieb er noch als Dank ein kleines, sehr persönliches, freundschaftliches Buch für mich und dann kam der sehr traurige und schockierende Anruf seiner Frau, die mir mitteilte, dass David sehr plötzlich verstorben war.

Wir waren alle sehr erschüttert und am Boden zerstört und seitdem versuchen wir durch die Friends United Initiative seine Lebensgeschichte zu erzählen und seine Familie zu unterstützen. Ein außergewöhnlicher Familienmensch und indigener Kunst-Pioneer war von uns gegangen und wir alle konnten wenigstens etwas Trost darin finden, dass David bei unserer Friends United Initiative die besten fünf Jahre seines Lebens verbrachte, so sagte er jedenfalls immer zu uns und seine Familie auch. Ich schreibe diese Zeilen, auch viele Jahre nach seinem Tod, immer noch mit großer Traurigkeit! Ich weiß aber, dass er nicht nur gewollt hätte, dass wir die Geschichte seines Lebens erzählen, sondern mit diesem Artikel auch auf die ungünstigen Zustände in einigen indigenen Gemeinden hinweisen, in denen sich leider oft Mitbürger, insbesondere Jugendliche und Kinder, nachdem sie oft Abhängigkeitssüchten verfallen sind, das Leben aus Hoffnungslosigkeit oder fehlender Zukunftsperspektive nehmen.

Auch wenn wir nur einen sehr kleinen Teil der Bilder dieses außergewöhnlichen Künstlers und Menschen zeigen, können Sie sicherlich einen Eindruck von Davids Kunst gewinnen. Mögen sein Geist und seine Geschichten für immer durch seine Bilder weiterleben. Übrigens sah David nicht sehr indigen aus, da er nicht nur indianische Vorfahren hatte, er wuchs aber auch mit Indianern auf und erzog seine Kinder im traditionellen Stil.

In den letzten 12 Jahren sind fünf der Friends United Künstler und ein Häuptlingsfreund von uns gegangen. Alle sind leider sehr früh verstorben, nicht zuletzt auch durch gesundheitliche und mentale Probleme, die oft aus einer traumatisierten Kindheit resultierten. Viele indigene Mitbürger bedürfen dringender Hilfe, aber leider kommt die Hilfe oft zu spät. In jedem Fall hinterlassen alle Künstler ein einzigartiges Kulturerbe für zukünftige Generationen und wir sind hoffentlich auch weiterhin in der Lage, die Essenz ihres Lebens durch die Friends United Initiative festzuhalten. Jeder Künstler erzählt durch seine Werke die Geschichte seines Lebens und Volkes und es gilt diese Geschichten für zukünftige Generationen zu bewahren und daraus zu lernen.
Abschließend möchte ich noch betonen, dass die Geschichte Nordamerikas hier nicht bewertet oder beurteilt werden soll, denn auch die deutsche Geschichte weiß von schlimmen Ereignissen zu berichten. Es geht mir darum, Frieden, Freundschaft, Gleichheit und vor allem gegenseitigen Respekt unter allen Völkern dieser Erde zu fördern.

Interviews mit David kann man finden unter: http://www.friends-united.ca/interviews/