Ein uralter Indianerbrauch und ein aufregendes Treffen mit Weißkopfseeadlern

Der Winter in Nova Scotia ist für viele Outdoor-Begeisterte auch eine wichtige Jahreszeit. Ende Dezember, kurz nach Weihnachten, wird auf der offiziellen Webseite „NovaScotia.ca“ vom Minister für Fischerei und Aquakultur, Keith Colwell, die Fischereisaison für den 1. Januar eröffnet. Man freut sich auf die zahlreichen Besucher und Angler, die den sonnigen Winter an den vielen Bächen, Flüssen, Seen und an der Atlantikküste Nova Scotias erleben und in den reichen Fischgründen Beute machen wollen.

Fischen ohne Anglerlizenz am langen Wochenende

Auf der Regierungswebseite werden noch gute Tipps gegeben, was man beim Eisfischen auf den Seen berücksichtigen sollte, welche Fischarten man zu dieser Zeit angeln kann, nämlich Bachsaiblinge und Regenbogenforellen, sowie Aale und viele der kleinen Fische, die man in Ufernähe zu Dutzenden angeln kann und die „Smelt“ genannt werden, eine Art Stint. Im Prinzip braucht man eine Angellizenz, die man für wenige Dollar erwerben kann, aber es gibt auch immer ein langes Wochenende, an dem sowohl einheimische Angler, als auch Besucher ohne Lizenz und nach Belieben ihrer Leidenschaft frönen können. Beim Eisfischen trifft man oft auch Angler indianischer Herkunft, die einem gastfreundlich gute Tipps geben können.

Freunde finden auf Eisfischerpartys

Man trifft sich und macht eine fröhliche Angelparty auf dem Eis. Die kontaktfreudigen Neuschotten treten oft in ganzer Familienstärke zum Eisfischen an und besonders die Kinder haben einen Riesenspaß auf dem Eis. Viele schlagen ein Zelt auf dem zugefrorenen See auf, stellen Campingstühle und Grills oder kleine Räucheröfen auf das Eis und machen sich sofort genüsslich über die geangelten Fische her. Oft wird man auch als Angeltourist spontan dazu eingeladen, sich der Eisfischerparty anzuschließen. Viele Nachbarn angeln sogar direkt vor ihren Häusern, die sie oft in Wassernähe auf dem eigenen Grundstück gebaut haben. Hier werden echte Freundschaften geschlossen. Zuweilen angelt man sogar an mehreren Löchern mit verschiedensten Angeln gleichzeitig und besonders die Kinder scheinen hieraus einen kleinen Wettbewerb zu machen.

Rolf Bouman, ein passionierter Tierfotograf Nova Scotias, geht seit Jahrzehnten mit seiner Familie und Freunden zum Eisfischen auf viele Seen in Cape Breton. Mit ein paar Thermoskannen heißem Tee oder Kaffee und Herumalbern oder Geschichten erzählen vergeht schnell die Zeit, bis einige Fische im Wassereimer landen. Die Kinder balgen sich im Schnee oder bauen einen Schneemann, aber manchmal fangen sie auch selbst ein paar Fischchen und sind stolz, dass sie etwas zum Abendessen beitragen können.

Auf dem selben Breitengrad wie Süd-Frankreich

Wenn die Hände beim Angeln zu kalt werden, gibt es heißen Tee aus der Thermosflasche und ein paar Snacks. Aber gut eingepackt ist es in der Sonne sogar angenehm. Man hält sich in Nova Scotia auf dem Breitengrad von Süd-Frankreich auf. Auch im Winter ist es durchaus möglich, einen Sonnenbrand zu erwischen, denn die Sonne reflektiert nochmal doppelt durch Eis oder Schnee.

Das Eisfischen hat man in Nova Scotia von den Natives, den dort ansässigen Indianern übernommen. Die Indianerstämme Nova Scotias haben im Dezember und Januar einen Teil ihres Speiseplans aus den zugefrorenen Seen bestückt. Das machen die Indianer auch heute noch so. Der Januar trägt hier bei den „Mi’kmaqs“ sogar den Namen „Zeit des Frostfisches – Punamujuiku’s“. Die Frostfische, Punamus heißen sie, laichen zu dieser Zeit unter dem Eis. In den Bildern und Skulpturen der indigenen Künstler ist das traditionelle Eisfischen mit Angeln oder Speeren ein beliebtes Thema und Motiv.

Winterspaß mit langer Tradition

Dabei muss man wissen, ist das Eisfischen für die Ureinwohner Nova Scotias nicht nur einfach eine Methode der Nahrungsbeschaffung. Wie in allen ihren Lebensbereichen, sind diese Menschen aufs Tiefste mit der Natur, dem großen Geist in allen Dingen und Wesen – und in ganz besonderer Weise mit ihren Ahnen verbunden. Alles in der Natur ist beseelt und jedem Tier wohnt ein eigener „Spirit“ inne. Die Ahnen wohnen ebenfalls in Bäumen, Felsen, Bächen oder in Mutter Erde oder den Wolken. Sie wachen über die Lebenden und stehen ihnen hilfreich zur Seite. Manchmal übermitteln sie den Lebenden Botschaften in ihren Träumen. Sie sind immer irgendwo in der Nähe ihrer Lieben. Ein wunderschönes Bild, das diese Lebenseinstellung widerspiegelt, ist das Gemälde „Grandmother’s Place“ (Großmutters Ort) des verstorbenen Mi’kmaq-Künstlers David Brooks. Auch weitere Bilder dieses Künstlers sprechen von den Winterbräuchen und Lehren.

Den Kanadiern heute, die immer gern „outdoor“ leben, was bei der wundervollen Landschaft kein Wunder ist, ist dieser alte Brauch der First Nations nur recht und sie haben ihn begeistert adaptiert.

Auch ich war bei einem solchen Eisfischen dabei und muss sagen, es war ein herrlicher und bezaubernder Tag. Die Sonne strahlte vom Himmel, die Landschaft war ein Winterwunderland, der Schnee glitzerte, keine Wolke am Himmel.
Wir luden alles, was man zum Eisfischen so braucht, auf einen Truck und fuhren los. Diesmal allerdings ohne Grill und Spaßausrüstung. Unser Ziel war es nämlich nicht Party zu feiern und Fische zum eigenen Verzehr zu fangen, sondern mit den Fischen die beeindruckenden Weißkopfseeadler vor die Kameralinse zu locken. Die majestätischen Greifvögel ernähren sich hauptsächlich von Fischen und haben in den Wochen, in denen die Seen und auch viele Bäche zugefroren sind, eine magere Zeit. Sie kommen nicht an die Fische heran und erbeuten nur kleinere, unvorsichtige Landtiere.

Die meisten Weißkopfseeadler der Welt

Zum Glück sind es nur wenige Wochen, in denen die Weißkopfseeadler hungern müssen, denn die Winter in Nova Scotia sind relativ kurz im Vergleich zu anderen kanadischen Provinzen. An der Atlantikküste entlang fließt ganzjährig der warme, aus der Karibik kommende Golfstrom, der im Winter für eher mildere Temperaturen sorgt und auch für die Seevögel und Robben immer noch einen reich gedeckten Tisch bietet. Das sind sehr günstige Lebensbedingungen und wahrscheinlich ist Nova Scotia – und im Besonderen die obere Halbinsel Cape Breton – deshalb ein Gebiet, in dem enorm viele Weißkopfseeadler leben. Nova Scotia ist nach Alaska die Region mit den meisten Weißkopfseeadlern auf der Welt.

Nun, ein Seeadlerpärchen, das wir auch bald in den hohen Baumkronen am Ufer entdeckten, saß dicht beisammen, den Kopf ins Gefieder eingezogen und schaute recht neugierig drein. Besonders begeistert schienen sie über unser Auftauchen anfangs nicht zu sein, was sich später bei unserer Fütterung schnell änderte.

Vorbereitungen für die perfekten Aufnahmen

Zuerst galt es, ein Loch in das Eis zu bohren, um eine Angel hineinzuhängen und Fische zu fangen. Dazu gibt es natürlich einen großen, dicken Bohrer und das funktioniert tatsächlich ganz gut. Manche Bohrer sind motorisiert und andere werden von Hand betrieben. Beim Bohren wärmt man sich wirklich auf. Dann braucht man einen Schöpflöffel, mit dem man die sich bildenden Eisklümpchen aus dem Loch ständig herausfischen muss, denn das Loch würde sonst im Lauf der Zeit wieder einige Millimeter zufrieren. Es dauerte nicht lange und wir hatten ein paar Fischlein herausgeholt. Das ging einfacher, als gedacht und man braucht dazu anscheinend kein gelernter Angler zu sein.

Jetzt mussten wir unsere Fotokameras aufbauen. Rolf Bouman kennt nach 30 Jahren die besten Stellen, an denen man die stolzen Adler findet. Er packte seine Kameras aus, stellte die Stative auf und machte sich bereit. Ich hatte die Videokamera im Anschlag, denn ich wollte wiederum filmen, wie man die majestätischen Weißkopfseeadler fotografiert. Ich weiß gar nicht was spannender war: Ob die Adler wirklich kommen würden, oder ob Rolf und ein befreundeter Fotograf es schaffen würden, rechtzeitig auf den Auslöser zu drücken, um brauchbare Fotos zu bekommen, denn die großen Raubvögel sind ungeheuer schnell und die Kameras müssen wegen der sich ändernden Lichtverhältnisse blitzschnell anders eingestellt werden. Mal in die Sonne und mal davon abgewendet.

Wir warfen ein paar kleine Fische ein Stück weiter vor uns auf die Eisfläche. Aber – trotz knurrenden Magens machten Herr und Frau Adler erst einmal gar keine Anstalten, das Angebot annehmen zu wollen. Dann begaben sie sich in die Luft und sondierten sorgfältig das Terrain. Sie misstrauten uns ganz offensichtlich. Sie zogen ihre Kreise und beobachteten uns, als urplötzlich einer unvermittelt zum rasanten Sturzflug ansetzte, auf ein Fischchen hernieder stieß und schneller wieder auf und davon war, als wir unsere Kameras bedienen konnten.

Der zweite Vogel ließ sich daraufhin nicht lang bitten. Aber diesmal waren wir vorbereitet und hielten die Kameras bereit. Wie ein schwarzes Geschoss schien der Adler vom Himmel zu fallen, ich hörte nur das Dauerfeuer der Fotokamera-Auslöser „bst-bst-bst-bst“ und da war er schon wieder weg, der Vogel. Aber: beide Fotografen waren hocherfreut. Es gab sogar noch einen zweiten und dritten Durchgang, dann waren die Fischchen aufgebraucht, die Adler satt und die Bilder „im Kasten“. Sofort steckten die beiden Foto-Enthusiasten die Köpfe zusammen, um ihre „Ausbeute“ anzusehen. Soweit man das auf den Kameradisplays bei dem hellen Sonnenlicht überhaupt sehen konnte, waren es Volltreffer. Und ich war auch zufrieden mit meinen Filmaufnahmen.

Ein wunderschöner Tag in einem unberührten Winter-Wunderland ging zu Ende und abends, vor dem bullernden Holzofen, ließen wir die spannendsten Momente noch einmal Revue passieren.

Wer das Eisfischen und die Adler und vieles Andere aus kanadischer Natur und indianischer Kultur als Film sehen möchte, kann es hier tun: