Entlang des Marine Drive fahren wir zu Dominique, Thomas und Töchterchen Emily. Familie Schmidt lebt bereits seit vielen Jahren in Nova Scotia. Es geht in den Osten Nova Scotias. Vorbei an einsamen Stränden, Seen, an Flüssen mit kleinen Inseln darin und dem, in der Ferne dunkelblau schimmernden Atlantik.

Auf einer dieser winzig kleinen Inseln an der Chedabucto Bay (Chedabucto Bucht), die sich binnen weniger Minuten umrunden lassen, erblicke ich ein Gebäude. Ich bin fest davon überzeugt, es sei eine Kirche und male mir aus, dass ein sturmgeprüfter Priester jeden Sonntagvormittag vom Festland aus bei Wind und Wetter hinübersegelt.
Später klärt mich Thomas auf: „Das war ein Lighthouse“, auf Deutsch: ein Leuchtturm, den ich da im Vorbeifahren gesehen habe. Einsam im Winter trotzt er Wind und Wellen und im Sommer empfängt er Touristen. Aber ganz so falsch lag ich nicht, denn es ist kein gewöhnlicher Leuchtturm, sondern zugleich ein Wohnhaus.
Das Queensport Lighthouse wurde wahrscheinlich im Jahre 1882 von einem Mister MacDonald, MacLennan oder einem MacLeod erbaut. So genau weiß man das nicht mehr. Bis in die 1960er Jahre hinein wohnte und arbeitete im Lighthouse ein Leuchtturmwärter, der einerseits wohl ein recht beschauliches Leben führte, doch auch sehr schnell reagieren musste, wenn es im Herbst oder Winter neblig und die Sicht für die Bootsbesatzungen ungünstig wurde. Denn dort, wo viel Wasser ist, leben die Menschen schon seit Jahrhunderten von der Fischerei.
Irgendwann erblicken wir laut Wegbeschreibung das Lighthouse Museum direkt an der Straße mit einem nicht echten Leuchtturm davor. Der gibt uns modernen „Pick-Up-Seglern“ das Zeichen, dass es zu den Schmidts nicht mehr weit ist.

Die eigene Schmidt-Road zur eigenen Bucht

Irgendwo im Nirgendwo entdecken wir im Wald die Schmidt Road. Wo auf dieser Welt kann man eine Straße noch mit dem eigenen Namen versehen?
Schnurgerade und wie ein Miniatur-Highway führt die Schmidt Road zu Dominique, Thomas und Emily. Die kleine Prinzessin lebt noch nicht lange in ihrem faszinierenden Königreich, denn erst vor zweieinhalb Jahren wurde sie hier in Nova Scotia geboren.
Ein gigantischer Ausblick eröffnet sich uns: ein See mit wunderschön geschwungener und geschützter Bucht, ein Haus mit Wintergarten und wärmendem Holzofen.
Begeistert klopfe ich an. Aber nichts regt sich. Habe ich mich im Tag geirrt …? Doch dann winkt Dominique von einem Blockhaus auf einer Anhöhe und macht auf sich aufmerksam. Wir haben die geräumige Garage, die wie ein Cottage wirkt und eine Art Wintergarten als Vorbau hat und mit netten kleinen Fenstern versehen ist, mit dem eigentlichen Wohnhaus verwechselt. Dieses blickt über Gärten und Teiche auf einen See. Irgendwie ist hier alles größer als in Deutschland – sogar die Garage.

Mehr als Meer: Atlantik, Seen, Flüsse und Wasserfälle

Dominique und Thomas liebten schon immer das Wasser. Thomas war bereits als kleiner Junge mehr unter Wasser als am Wasser und im Wasser. Und als Erwachsener hat sich Thomas mit seiner eigenen Familie seinen kanadischen Traum erfüllt: ein großes Grundstück, ein stilvolles und rustikales Holzhaus, an dem sich Weinreben emporranken, ein See mit eigener Halbinsel und eine riesengroße Garage mit Platz für einen ATV, ein Boot und Jetski – einfach alles, wovon Mann in Deutschland aus Platzmangel noch nicht einmal zu träumen wagt.
Emily freut sich im warmen Herbst, wenn sie zahlreiche schmackhafte Weintrauben pflücken darf. Und ihre Eltern trinken gerne mal am Abend einen guten Tropfen Nova-Scotia-Wein von einem der vielen Weingüter. Die Erde ist fruchtbar und das Klima mild und maritim, was den Weinen zu ihrer ganz besonderen Note verhilft.
Denn das gibt es hier: relativ günstiges und unberührtes Land, oft am Wasser. Das kostbare Nass in Hülle und Fülle war für Dominique und Thomas weder im Hintertaunus noch im Allgäu zu finden gewesen. Wenn das nicht ein Grund zum Auswandern ist!

Warum Dominique und Thomas die Weite suchten und fanden

Dominique ist überzeugt: „Deutschland ist für mich eines der schönsten und kulturreichsten Länder der Welt. Es wäre nicht ehrlich, wenn ich sagen würde: Mir hätte es nicht mehr gefallen. Ich wollte jedoch schon als kleines Mädchen auswandern, woanders leben, neue Dinge entdecken und Abenteuer suchen. Vor allem liebe ich das Meer, welches es in meiner Heimat nicht gibt. Mich faszinieren die Freiheiten, die Frau in Kanada auf ihrem eigenen Grund und Boden hat. Dort ist es nicht so dicht besiedelt und alles so eng. Mensch und Tier haben Platz. Meine Hündin konnte rennen und toben und hat sich in Kanada um Jahre verjüngt.“

Männerträume werden wahr

Thomas findet, dass Mann trotz so mancher Herausforderungen des Landlebens von Nova Scotia in Deutschland bestimmte Männerträume einfach nicht mehr leben kann: „Im Wald einfach mal ein Feuerchen machen, mit dem ATV durch die Gegend heizen und nicht nur im See vor dem Haus, sondern auch privat mal richtig abtauchen.“ Thomas schränkt das selbstverständlich ein. Er ist verantwortungsbewusst und würde sich und andere in seiner Freiheitsliebe nie gefährden. Freiheit heißt für ihn: Privatsphäre. Denn hier kommen vielleicht mal zwei Weißkopfseeadler vorbeigeflogen, um im See nach Fischen zu greifen. Und man hat die Gewissheit, dass nicht hinter jedem Baum ein Spaziergänger lauert.

Dominique: „Ich wandere mal aus!“

Dominique ist im Hintertaunus, in Neu-Anspach, nahe des bekannten Römerkastells Saalburg, aufgewachsen. Schon lange hat es sie in die Natur gezogen. Sie hatte das „Outdoor-Girl“ wohl schon immer in ihren Genen. Bereits als Kind teilte sie ihren Freundinnen mit: „Irgendwann wandere ich aus.“ Diese haben sich dann auch nicht gewundert, als es Jahre später so weit war. Die engsten Freunde der beiden kommen heute gerne zu Besuch.
Ich erlebe Dominique als nachdenkliche, tiefsinnige Frau mit einer ausgeprägten Liebe für Ruhe und Stille, Musik und Bücher. So hat die heute 33-jährige Mutter auch Ruhe und Weite und irgendwann das Weite gesucht.
Dann ist es passiert: Dominique hat Thomas in Nova Scotia entdeckt: „Liebe auf den ersten Blick,“ schwärmt sie noch heute. Also der romantische Klassiker, denke ich still bei mir.
Mit 23 Jahren hat Dominique ihre Bürotür in Deutschland hinter sich geschlossen und ihren Job als gelernte Kauffrau für Bürokommunikation und Assistentin der Geschäftsleitung hinter sich gelassen.
Sie hat drei Koffer und eine Hundebox gepackt, einen Flug nach Halifax, der Hauptstadt von Nova Scotia, gebucht und bei Rolf Bouman, dem Inhaber der Landerschliessungsfirma Canadian Pioneer Estates Ltd., ihre Arbeit aufgenommen.

Tipps für potenzielle Auswanderer

Auch Dominique hat Tipps für potenzielle Auswanderer: „Ich rate jedem, sich Zeit zu nehmen, nichts zu überstürzen und vor allem, Land und Leute zuvor genau kennenzulernen. Außerdem sollte man sich wirklich bewusst werden, warum man seine Heimat verlassen möchte. Man nimmt immer sein Päckchen auf dem Rücken mit – egal, we weit wegzieht.“

Nicht als Cowboy, sondern als „Fishboy“ nach Nova Scotia

Schon die Eltern von Thomas flogen regelmäßig in die Vereinigten Staaten von Amerika. Sein Vater war Dipl. Ingenieur für Textilwirtschaft und baute in den USA eine Textilmaschinenfabrik auf. Er und damit seine Familie, die weiterhin in Deutschland lebte, pendelten viele Jahre hin und her. Auch im Urlaub reisten die Schmidts bevorzugt dorthin, wo etwas mehr Wasser zu finden war als im Allgäu. Dort verbrachte Thomas den Großteil seiner Kindheit und Jugend.

„Wasser – das ganz andere Element“

Schon den kleinen Buben hat es dabei immer ins Wasser, aber noch mehr unter Wasser gezogen. Erst hat er geschnorchelt, dann ist er getaucht und war von der Unterwasserwelt fasziniert. Sein Motto: „Wasser – das ganz andere Element.“
Seine Leidenschaft wurde für Thomas zum Beruf und zur Berufung. Was will Mann mehr? Er ist gelernter Meister in Fischwirtschaft und hatte die große Ehre, als Betriebsleiter der Fischzucht der Gräfin zu Castell-Rüdenhausen in Deutschland tätig zu sein. Dann verführte ihn eines Tages der Gedanke, selbstständig zu sein und ein eigenes Geschäft zu leiten.
Als Thomas Jahre später sein erstes Grundstück bei Rolf Bouman in Nova Scotia erwarb, reifte der Gedanke des uswanderns über fünf Jahre hinweg zu einem wohlüberlegtem Entschluss heran.

Der große Plan

„Wenn ich etwas tue, dann tue ich es richtig. Wenn ich A sage, dann sage ich auch B“, bekennt Thomas. Er ist zuverlässig und bestens organisiert in allem, was er anpackt.
Genauso ging er bei der Planung seiner Auswanderung vor. Er verkaufte sein Geschäft für Anglerbedarf und erstellte einen regelrechten Finanz- und Lebensplan für seine Zukunft.
„Was benötigt ein Auswanderer?“, will ich es nun genau wissen. Gründlich, wie er ist, liefert mir Thomas eine ganze Liste für die nötige Ausrüstung:

• Risikofreude, einen Traum zu verwirklichen, aber keine romantisch-verklärten Vorstellungen vom Auswanderungsland
• offene Augen und Ohren: schauen und bewerten, was einem so auffällt und Menschen fragen, die diesen gewaltigen Schritt gewagt haben
• genügend finanziellen Spielraum, um unter Umständen auch mal eine Zeit ohne Gehalt überbrücken zu können
• eine sichere Existenzgrundlage für die Zukunft
• gute Organisation
• Nüchternheit, um den wunderbaren Seiten, aber auch den Herausforderungen des Landes entgegenzublicken

Seinen ausgeklügelten Plan unterbreitete Thomas im Alter von 32 Jahren seinen Eltern. Diese ließen ihn mit ihrem Segen, doch auch mit einem weinenden Auge beim Abschied ziehen.

Der „Fischanbeter“

Ich habe noch nie in meinem Leben einen dermaßen passionierten Fischliebhaber – ja regelrechten „Fischanbeter“ – kennengerlernt. Irgendwo befinden sich überall Fische auf dem Grundstück – wo immer sie ihrem Biotop entsprechend leben können. Sogar als Attrappe hängen sie im oberen Stockwerk von der Decke.
Dominique und Thomas leben und arbeiten in ihrem Haus in ihrem selbst erschaffenen Paradies, haben einen Fischteich im Wohnzimmer und kochen am liebsten selbst.

Fischteich im Wohnzimmer

Thomas baute über die Jahre nach und nach seinen eigenen Fischbestand auf, der es sich jetzt in Schmidts Wohnzimmer gemütlich macht und sich artgerecht in einem riesigen Fischteich tummelt.
Ich behaupte einmal, dass es in ganz Kanada keine Familie gibt, die neben der Wohnküche einen Fischteich mit 10.000 Litern Fassungsvermögen besitzt, in denen glückliche und wertvolle japanische Kois schwimmen.
Ich habe mich gefragt, warum die Fische bei so viel Natur drumherum in einem Haus leben müssen.
„Draußen würden Fischotter und Weißkopfseeadler kurzen Prozess machen und sich mit ihnen ihr Lunch bereiten,“ klärt mich Thomas lapidar auf. Und wieder habe ich etwas gelernt.

Echte Häuptlinge – Adlerfedern auf erhobenem Haupt

Mit großer Überzeugung arbeitet Thomas nun seit 20 Jahren in partnerschaftlicher Kooperation mit Rolf Bouman zusammen und berät seine Kunden sehr kompetent beim potenziellen Landerwerb auf Cape Breton Island. Gerne empfiehlt er Grundstücke am Wasser, – wen wundert´s …? Er erklärt seinen Kunden den kompletten Ablauf und das Prozedere einer Grundstückserschließung bis zur Bebauung.
Doch wenn Thomas wieder mal in seiner Heimat im Allgäu ist, zieht es ihn wie magnetisch zur deutschen Kultur.
Er vermisst von Zeit zu Zeit Altstädte mit Fachwerk und Kopfsteinpflaster sowie Schlösser und mittelalterliche Burgen. Wie einer der vielen Touristen aus aller Welt besichtigt er dann die Königsschlösser von Neuschwanstein bis Linderhof.

Friends United International Convention Center

Auch wenn Kanada zum commonwealth gehört und die Queen immer irgendwie präsent zu sein scheint, gibt es hier in Nova Scotia keine Könige und Fürsten mit einem eigenen Schloss und auch keinen König Ludwig II. Dafür Häuptlinge und Oberhäuptlinge, die hierzulande mit Chief angesprochen werden.
Thomas führt nahezu jeden Kunden, wenn er in den Süden von Cape Breton Island kommt, einmal durchs Friends United International Convention Center. Darin befinden sich mehr als 1.000 Gemälde und Kunstwerke der First Nations aus vielen Provinzen Kanadas.

Kinderparadies am eigenen See

Auch seine kleine Emily genießt viele Freiheiten: zum Beispiel einen eigenen Spielplatz auf dem Gelände, auf den sie im Sommer ihre kanadischen Freundinnen einlädt. In ihrem bunten Zimmer unterm Dach sitzt sie schon am Spielzeugklavier und drückt die Tasten.
Ihre erste erwachsene Freundin war die bekannte und doch recht bescheidene Mary Coyle. Diese arbeitete früher an der Saint Francis Xavier University in Antigonish und vertritt heute als Senatorin die Provinz Nova Scotia im Parlament von Ottawa, in Kanadas Hauptstadt.
Sie war es damals – als Emily sich ankündigte –, die Mama und Baby im St. Martha´s Regional Hospital in Antigonish als Erste bewunderte.
Ich selbst habe Mary bei unseren wenigen Begegnungen als sehr zugewandt erlebt. Sie hat ein Herz für Einwanderer und auch für die First Nations.
Ja, so sind sie, die Kanadier, geht es mir auf der Rückfahrt entlang des Marine Drive durch den Kopf: Herzlich, hilfsbereit, lebensfroh und ein „great“ oder „wonderful“ kommt ihnen oft und gern von den Lippen und macht einfach gute Laune.